Von Wolf E. Schneider

Das Blaue Paradies – Von Dömitz nach Eldena

Die breiten Gewässer der Elbe beginnen ihren langen Weg als kleine Rinnsale im heute tschechischen Riesengebirge. Nach über 1.080 Kilometern schließlich mündet sie bei Cuxhaven in die Nordsee.  726 Kilometer dieser langen Reise ist sie in Deutschland unterwegs.  Lange bevor die Elbe in ihrem Unterlauf zu einer der am stärksten befahrenen Wasserstraßen Europas wird, ist sie trotz ihrer Größe ein wunderschöner Fluss. Naturbelassene Auen, kleine Sandstrände, saftig grüne Wiesen säumen das Ufer.

Doch die Elbe hatte auch eine bittere Seite. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Fall der Mauer 1989 und der Wiedervereinigung 1990 war der Strom auch Symbol der Teilung Deutschlands und auf nahezu einhundert Kilometern sogar Grenzfluss.  Scharf bewacht von bewaffneten Grenzsoldaten der DDR, war er eine unüberwindbare Barriere für freiheitsliebende Menschen, die das Leben in der DDR nicht so angenehm fanden.

DömitzDSC_5276Heute ist das zum Glück Vergangenheit.  Bei Elbe Kilometer 504 öffnet sich nun für den Wasserwanderer diese so lange politisch-verschlossene Welt. Die Müritz-Elde-Wasserstraße ist eines der schönsten Wasserreviere, die es in Deutschland zu entdecken gibt. Von hier erreicht man die Müritz, die Havel und nach langer und wunderschöner Bootsfahrt, auch Berlin.

Begonnen hat alles 1990 nach der Wiedervereinigung. Die teilweise verfallene Wasserstraße wurde grundlegend renoviert. Mit hohen Investitionen wurden Brücken und Uferbefestigungen erneuert oder restauriert. Die Schleusen wurden instandgesetzt und einige davon automatisiert.

Zeit nehmen

Bis zur Müritz liegen vor dem Wasserwanderer ca. 180 Flusskilometer, vorbei an verträumten Kleinstädten, alten Wäldern, artenreichen Flussauen – maritimen Erlebnissen, die so in dieser Anmut selten anzutreffen sind.

Nur eines sollte der Bootsfahrer – sich die Zeit nehmen, diesen schönen Törn zu genießen. Abgesehen davon ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit sowieso auf 9 km/h begrenzt.  Außerdem bremsen 17 Schleusen – die meisten von ihnen mit leicht bedienbarer Selbstbedienung – den Schnellfahrdrang.

Die Wassertiefen sind mit offiziellen 1,2 – 1,6 m bei Mittelwasser immer ausreichend und die niedrigste Brückendurchfahrtshöhe beträgt 4,2 m. Zwar scheint die  Müritz-Elde-Wasserstraße sehr schmal zu sein, aber die geringste Durchfahrtsbereite ist 5,1 m. es ist also immer genügend Raum für Sportboote vorhanden. Die Strömung ist unbedeutend.

Dömitz bis Elena

DömitzDSCN0963Von der Elbe in einem scharfen Schwenk nach Steuerbord liegt Dömitz, der Anfangspunkt unserer Reise. Dömitz ist nicht nur die südlichste Gemeinde Mecklenburg-Vorpommerns. Die alte Festungsstadt, seit dem 13. Jahrhundert Festung und Burg für die jeweils wechselnden politischen und kriegführenden Herrscher, ist auch Teil des UNESCO-Biosphärenreservats Flusslandschaft Mecklenburg-Vorpommern.  Nicht weit entfernt liegt das Dreiländereck Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Brandenburg.

Gleich an Backbord, kurz vor dem kleinen Hafen, empfängt den Bootsfahrer der unverkennbare Wachturm der DDR-Grenzer, heute nur noch ein Relikt aus schlechteren Zeiten. Heute ist er friedlich geschmückt mit den mecklenburg-vorpommerschen Farben.

Im Dömitzer Hafen, direkt vor der Schleuse, findet der Bootsfahrer eine einfache aber schöne Kaianlage. Wie in vielen kleinen Häfen ist die Stimmung entspannt, man spricht miteinander, fachsimpelt und erzählt von den eigenen Erlebnissen. Und es kann passieren, dass plötzlich von Bord eines Bootes die Musik eines Saxophons erklingt.  Tom Moermond, Niederländer aus Zeeland, unterwegs mit seiner MS ZILTE KRUKEL,  sitzt an Deck und spielt spontan in den Abend hinein. Alle schauen herüber. Ein freundlicher großer Mann begeistert den Hafen. Nicht viele Menschen sind da, aber alle – Crews von vielleicht 10 Booten – klatschen Beifall;  Hafenleben, klein aber pur.

Ein anderen Bootsfahrer reicht ihm ein Bier, stößt mit ihm an.   Tom fragt, ob noch mehr Musiker da sind – leider nicht. Zu gerne hätte er jetzt eine spontane Jamsession gemacht. Er hat wirklich Lust am Musizieren. 5-6 Lieder und dann ist es vorbei. Die Sonne ist untergegangen.

Landgang Dömitz

Dömitz ist  nur einer der Orte dieses Törns, an denen sich ein Landgang lohnt.  Es ist sehr heiß an diesem Tag im Mai. Bordhund Castro leidet unter der Hitze. Gegenüber des kleinen Hafens auf dem alten Elbdeich spenden große alte Bäume Schatten. Der Weg führt durch die Allee zur Festung, vorbei an schönen alten Häusern. Dömitz ist eine hübsche Stadt, mit viel Liebe gepflegt. Und hier fällt schon auf, was in vielen der kleinen Städte wiederkehrt: Die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern sind sehr freundlich, man grüßt sich, auch die Gäste, man winkt sich zu, das Moin ist auch hier alltäglich.

DSC_5240Ich frage einen Fahrradhändler, der vor seinem Laden steht, nach dem Weg zur Festung.  Mitleidig und besorgt schaut er auf den Hund, er tue ihm leid, sagt er. Wir sollten doch weiter über den Alten Deich gehen, die großen mächtigen Linden würden Schatten spenden. Uraltes Kopfsteinplaster – was mögen diese dicken Steine schon alles gesehen haben – und wir stehen vor der Festung.  Eine Zugbrücke und ein mittelalterlicher schattiger Rundbogeneingang führen in den großen Innenhof. Die Heerführer des Dreißgjährigen Krieges Wallenstein und Tilly waren hier, ebenso wüteten Schlachten für die Befreiung der Besetzung durch napoleonische Truppen. Das ist alles längst vorbei. Heute ist die Festung ein anschauliches und beeindruckendes Beispiel der Festungsarchitektur der Renaissance.

Ein Riesen-Erdbeer-Eisbecher vom  Eiscafé Tiziano, gegenüber des Hafens, lindert zwar nicht die Hitze, schmeckt jedoch köstlich. Aber ein Gewitter zieht auf. Viele dunkle Wolken ziehen von Westen über die Elbe und beenden die Hitze mit starken Windböen, heftigen Blitzen und Donnerschlägen. Alles an Bord ist gut gesichert. Ein Blitz, keine Sekunde zum Donner – also direkt über uns ein Riesenknall. Bordhund Castro bisher ruhig im Salon unter Deck schreckt auf und springt ängstlich zur Treppe hoch. Aber Frauchen – die genausoviel Angst hat wie Castro – tröstet und beruhigt ihn.  Es ist gut, bei einem solchen Wetter geschützt in einem ruhigen Hafen zu liegen.

Von Dömitz nach Eldena

 09:00 Uhr. Es geht los, MEW km 0. Das Gewitter hat die Luft gereinigt, die Maisonne strahlt wieder freundlich vom mecklenburgischen Himmel. Viele Bootsfahrer legen ohne Hektik ab – wie gesagt – auf der Müritz-Elde-Wasserstraße hat man es nicht eilig. Das Brückensignal vor der Schleuse zeigt Rot, darüber das weiße Licht: Wenn die Durchfahrthöhe ausreicht, können die Boote langsam vorfahren. Die erste Schleusung zu Berg beginnt. Und es ist die letzte für einige Zeit mit einem Schleusenwärter vor Ort.  Herr Repenning (!) heißt er, den Namen habe ich doch von Borkum in guter Erinnerung. Meine Frage, ob er Verwandte auf Borkum habe, verneint er zwar freundlich, sagt aber, dass er in Hamburg noch viele Repennings kenne. Und er weist einen der Skipper darauf hin, seinen Motor während der Schleusung abzustellen. Ein guter Hinweis, denn Motorenabgase sind in einer Schleusenkammer besonders unangenehm. Kein Problem, der Skipper versteht und Herr Repenning und alle weiteren Boote in der Schleuse sind zufrieden. Der Tag fängt gut und harmonisch an.

Und vor dem Bug Kurs voraus zeigt sich sofort, was den Wasserwanderer in den nächsten Tagen erstaunen und gleichermaßen erfreuen wird:  eine herrliche Kulturlandschaft von Wasser, Natur und Menschenwerken.

Angenehme Selbstbedienungsschleusen

Schon nach wenigen Metern verspüren die Bootsfahrer, was Entschleunigung bedeutet:

Schleuse SelbstbedieungnDSC_5335Man kann nicht schnell unterwegs sein, aber man will es auch nicht.  Schon bei Kilometer 5 beginnt das Schleusen in Neu Kaliß.  Die in den vergangenen Jahren für Selbstbedienung umgebauten Schleusen schrecken anfangs viele Bootsfahrer. Aber die Angst oder Skepsis davor weicht schnell nach den ersten eigenständig durchgeführten Schleusungen.

Das Prinzip ist einfach und logisch. Der Skipper führt sein Boot an die  wirklich sehr guten, ausreichend langen und stabilen Anleger heran. Er schaut, an welcher Seite die  blaue Hebelvorrichtung angebracht ist. Durch Bewegung des Hebels wird die Schleusung eingeleitet. Große digitale Leuchtanzeiger informieren über den jeweiligen Stand der Schleusung und  über die nächsten Schritte. Nach der Einfahrt in die Kammer wird durch das Bewegen des blauen Hebels in der Schleusenkammer das Tor geschlossen und die Schleusung beginnt.

Wichtig ist natürlich, sich vorher zu vergewissern, ob hinter dem eigenen Boot noch weitere Boote einfahren wollen, bevor man die Schließung des Schleusentores einleitet.

Jeder Sportbootfahrer kennt die Probleme, dass insbesondere auf Bundeswasserstraßen Sportboote von manchen Schleusenwärtern ungern gesehen werden und oft vom guten Willen und der jeweiligen Laune des Schleusenpersonals abhängig sind. Wer hat nicht schon mal zwei Stunden vor einer Schleuse gelegen? Die Anzahl der wartenden Sportboote wuchs, aber da kein Berufsschiffer in der Nähe war, wurde auch nicht geschleust.  Im Prinzip ist die Schleusung durch Selbstbedienung langsamer. Aber durch die wegfallenden Wartezeiten, verursacht durch unwillige Schleusenwärter, wird dieser Nachteil aufgehoben. Eines ist aber zu vermerken: Auf allen durch Personal bedienten Schleusen auf der Müritz-Elde-Wasserstraße gab es nur freundliche und hilfsbereite Schleusenwärter. Es ist wirklich bemerkenswert, wie das Land Mecklenburg-Vorpommern und die entsprechend zuständigen Wasser- und Schifffahrtsämter den Bootstourismus akzeptieren und als wichtigen Faktor für Wirtschaft, Tourismus und Lebensqualität erkannt haben.  Das wird auch deutlich, wie durch lange, breite und stabile Stege und gute Festmacher vor den Schleusen an Wassersportler gedacht wird.  Es gibt Wasserstraßen in Deutschland (z.B. Dortmund-Ems-Kanal oder Elbe-Havel-Kanal), an denen der Bootssportler anscheinend lediglich als Störenfried angesehen wird.

DSC_5380Weiter geht es durch dunkle Buchenwälder und lichte Birkenhaine auf der einen Kanalseite, direkt gegenüber grüne Wiesen prall gefüllt mit unzählig vielen Sumpfdotterblumen. Wie gesagt – langsam fahren und genießen. Schon ein Kilometer nach der Schleuse Neu Kahliß  erreicht das Boot den Ort mit dem schönen Namen „Findenwirunshier“. Aber woher kommt dieser eigentümliche Ortsname? Eine Sage erzählt davon. Zwei Brüder waren derart zerstritten, dass sie sich, falls sie sich träfen, gegenseitig den Tod schworen. Als sie sich, Jahre später, beide von hohem Stande und als Offiziere in Hamburg und Berlin tätig, unerwartet am Ufer der Elde trafen, riefen sie voller Zorn: „Finden wir uns hier!“  Sie rissen ihre Schwerter aus der Scheide, stürmten aufeinander los und erstachen sich gegenseitig.  Seitdem hat dieser Ort den Namen bekommen und erhalten.

Zwischenziel Elena

Ein wunderbarer, entspannter Bootstag mit drei Schleusen endet bei MEW Kilometer 18.  Nach 18 Kilometern hinter Dömitz schon anlegen und festmachen? Ja, denn in dem kleinen mecklenburgischen Dorf Eldena, einst im 13. Jahrhundert als Klosterdorf gegründet, gibt es einen sehr schönen und gepflegten Hafen, den Bootshafen Witte. Im Ort gibt es einen Edeka – gut zum Auffrischen der Bordvorräte –, bei Ehepaar Witte kann man auch Diesel tanken und beide sind dazu auch sehr gastfreundlich.EldenaBootshafenWitte

Quelle Foto: Bootshafen Witte in Elena

 Die nächste Teilstrecke des Törns  führt von Elena nach Schwerin (demnächst hier)