Brückenstadt Berlin

Mehr Brücken als Venedig

Berlins große Reedereien befördern bis in den späten Herbst viele Tausend Fahrgäste. Zweifellos sind die meistern von ihnen Touristen, die die Hauptstadt von ihrer Wasserseite kennenlernen wollen. Auf den Stadtkern- oder Brückenfahrten erfahren sie allerhand Wissenswertes über Stadt und Geschichte. So ist auf den Touren etwa zu hören, Berlin habe mehr Brücken als Venedig. Aber stimmt das tatsächlich? Dieser Frage sind wir auf den Grund gegangen.

bbmaritim Moltkebrücke

 

Wie viele Brücken es in Berlin insgesamt gibt, scheint niemand so genau zu wissen. Laut Zahlen des Statistischen Landesamtes sind es 969. Andere Quellen sprechen jedoch von bis zu 2.100 Brücken. Freilich führt nicht jede dieser Überquerungen über ein Gewässer. Auch Fußgänger-, Eisen- und Autobahnbrücken dürften hier wohl mit eingerechnet sein.

Dennoch schlägt Berlin die italienische Lagunenstadt in Sachen Brücken um Längen. Venedig besitzt nämlich „nur“ 410 Brücken. Zur Ehrenrettung Venecias muss allerdings vermerkt werden: Die deutsche Hauptstadt ist um ein Vielfaches größer.

Doch wer nun glaubt, Berlin sei mit seinen 1.000 bis 2.000 Überführungen Spitzenreiter im Brücken-Ranking, hat die Rechnung ohne Hamburg gemacht. Die norddeutsche Hansestadt steht mit ihren 2.500 Brücken sogar als brückenreichste Stadt Europas im Guinnessbuch der Rekorde.

Berlins erste Brücke wurde wahrscheinlich mit der Gründung der Doppelstadt Cölln-Berlin im ausgehenden 12. Jahrhundert gebaut. Aber erst im Zuge der Industriellen Revolution sollte die Zahl der Brücken förmlich explodieren. Allein zwischen 1737 und 1838 wurden rund 70 Brücken konstruiert. Unter ihnen auch die älteste noch erhaltene Brücke Berlins, die Jungfernbrücke.

Die Jungfernbrücke wurde 1798 von einem niederländischen Architekten errichtet und überspannt den Kupfergraben zwischen Nikolaiviertel und Außenministerium. Sie ist die letzte von ehemals neun Klappbrücken. Um ihren Namen ranken sich zahlreiche kuriose Geschichten. Unter anderem soll es in der Nähe eine Badeanstalt gegeben haben, zu der nur Herren Zutritt hatten. Alle Jungfern mussten an der nahegelegenen Klappbrücke zurückbleiben.

Berlins längste Brücke dahingegen erinnert an den deutschen Politiker Rudolf Wissell: Die 930 Meter lange Rudolf-Wissell-Brücke ist Teil des Berliner Autobahnrings und überbrückt Spree, Spreeaue sowie die Schleuse Charlottenburg. 1961 wurde sie fertiggestellt. Seither brausen täglich circa 220.000 Fahrzeuge über sie hinweg. Damit ist die Brücke eines der am stärksten befahrenen Autobahnteilstücke Deutschlands – Stau vorprogrammiert. Die Rudolf-Wissell-Brücke ist ein typisches Beispiel für die enge Verknüpfung von Stadt und Natur in Berlin. Denn unter ihr sind ein Angelsportverein sowie eine Kleingartenkolonie beheimatet.

Die wohl höchste Brückendichte Berlins dürfte es in Neu-Venedig geben, wie schon der Name vermuten lässt. In der kleinen Wohn- und Wochenendhaussiedlung in Rahnsdorf gibt es auf engstem Raum knapp 15 Kanalbrücken. Allerdings wird wohl keine von ihnen jemals den Bekanntheitsgrad der Oberbaumbrücke erreichen, die zu den meist fotografierten Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt zählt.

Die Oberbaumbrücke ist das Wahrzeichen der ehemals geteilten Stadtteile Friedrichshain Kreuzberg – erbaut zwischen 1894 und 1896. Seit 1902 verkehrt über sie Berlins erste U-Bahnlinie. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Spreebrücke jedoch erheblich beschädigt. Erst nach der deutschen Wiedervereinigung konnte sie wieder vollständig in Stand gesetzt werden.

 

Einmal im Jahr ist die Oberbaumbrücke Schauplatz der Gemüseschlacht, die seit 1998 zwischen Friedrichshainern und Kreuzbergern ausgetragen wird. Dabei kämpfen die Bewohner um die Vorherrschaft im Bezirk.

Immer wieder wurden Berlins Brücken zur Bühne historischer Ereignisse – vor allem zurzeit des Kalten Kriegs. So erlangte die Glienicker Brücke, die Berlin und Potsdam verbindet, als „Agentenbrücke“ Weltruhm.

Bilder von der Bösebrücke gingen 1989 um den Globus als dort am Tag des Mauerfalls der erste Grenzübergang geöffnet wurde und Zehntausende Ost-Berliner in den Westen der Stadt strömten. Heute ist die Bösebrücke marode. Ein Schicksal, das sie mit etwa 80 weiteren Berliner Brücken teilt. Viele der Überquerungen wurden vor über 100 Jahren gebaut – also zu einer Zeit, in der es noch keine schweren Lkw gab. Seither hat der Verkehr kontinuierlich zugenommen und die Brücken abgenutzt und ermüdet. Jährlich müssten daher rund 100 von ihnen saniert werden. Doch dem Land Berlin fehlen Geld und Personal. Mit Verkehrsbeschränkungen, wie Tempo-Limits und Überholverboten, versucht man daher die Belastungen zu reduzieren.

Gefahr, dass die Brücken einstürzen könnten, besteht laut Experten nicht. Dafür sorgen die regelmäßigen Überprüfungen der Bausubstanz und strenge deutsche Sicherheitsvorschriften.