Seit dem heutigen Freitag hat die Havel in Sachsen-Anhalt ein Stück ihrer Natürlichkeit zurückgewonnen. Nach mehr als hundert Jahren wurde die Vehlgaster Dorfhavel, ein Altarm des Flusses, wieder an den Havel angeschlossen. Das Projekt ist Teil der europaweit größten Renaturierung eines Flusses, den Naturschützer auf ingesamt 90 Kilometern zwischen Pritzerbe und der Havel-Mündung in die Elbe durchführen.

Für den Anschluss des Altarms hatten Räumfahrzeuge und Bagger zuletzt mehr als drei Monate lang das Flussbett freigelegt. Dabei wurden rund 45.000 Kubikmeter Sand und Boden entfernt. Mit den Baggerarbeiten ist auch eine neue Insel entstanden, die „Drosselinsel“. Sie ist benannt nach Herbert Drossel, der das Projekt mit einer privaten Spende über 120 000 Euro unterstütze. Die Insel wird künftig landwirtschaftlich nicht mehr genutzt. Stattdessen werden 3,2 Hektar Auwald neu entstehen. Damit soll die Insel zum wertvollen Rückzugsgebiet für seltene Tier- und Pflanzenarten werden, wie Seeadler, Schwarzspecht oder Fischotter.

Die Untere Havelniederung ist das größte und bedeutsamste Feuchtgebiet im Binnenland des westlichen Mitteleuropa. Mehr als 1.000 vom Aussterben bedrohte und stark gefährdete Tier- und Pflanzenarten leben hier. Seit dem Jahr 2005 setzen sich Umweltschützer dafür ein, dem Fluss wieder seine ursprüngliche Natürlichkeit zurückzugeben. Auf 90 Flusskilometern werden unter anderem Sandufer von schweren Steinen befreit, Altarme an den Hauptstrom angeschlossen und viele Hektar neuer Auenwald gepflanzt. Das Projektgebiet erstreckt sich auf etwa 19.000 Hektar zwischen Pritzerbe im Landkreis Potsdam-Mittelmark und der Havelmündung nordwestlich von Havelberg in Sachsen-Anhalt.

„Dass die Vehlgaster Dorfhavel seit heute wieder natürlich strömen darf, ist ein großer Gewinn für den Fluss, seine Tier- und Pflanzenwelt und auch die Anwohner der Gemeinde“, sagte NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller beim offiziellen Festakt in der Gemeinde Vehlgast. Jahrzehnte zuvor waren Teile der Vehlgaster Dorfhavel zugeschüttet worden, der verbliebene Teil des Flussarms verlandete zusehends. Dabei sind durchströmte Nebenarme enorm wichtig für das Leben eines Flusses. Mit ihrer geringen Nutzung und Unterhaltung bieten sie eine außerordentliche Vielfalt an Strukturen, Lebensräumen und wichtige Rückzugsmöglichkeiten, beispielsweise für Fische.

„Die Arbeiten in Vehlgast waren die bisher wohl umfangreichsten und schwierigsten im gesamten Projektgebiet. Dass wir den Altarm hier wieder anschließen konnten, wurde überhaupt erst möglich, weil wir so große Unterstützung von vielen Partnern in der Region erhalten haben. Über das Ergebnis dieser jahrelangen Zusammenarbeit freuen wir uns nun alle sehr“, erklärte Rocco Buchta, Leiter des NABU-Institutes für Fluss- und Auenökologie, das die Renaturierung an der Havel umsetzt.

Große Unterstützung erhielt das Projekt von der Stadt Havelberg und der Gemeinde Vehlgast, dem Land Sachsen-Anhalt sowie dem Landkreis Stendal und dem Biosphärenreservat Mittelelbe. Die Vehlgaster Dorfhavel ist inzwischen der dritte Altarm, den der NABU an der Havel wieder anschließen konnte. Zuvor wurden bereits in Havelberg und mit der Schliepenlanke in Rathenow ähnliche Projekte umgesetzt.

Foto: Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt (LHW)