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Zahllose Reedereien bieten Rundfahrten durch die Berliner Innenstadt. Hier stellen wir Ihnen die sogenannte "Brückenfahrt" vor.

Kurz nach 14 Uhr huschen eilig die letzten Fahrgäste auf die MS Pankow – und sofort wirft der Kapitän den Motor an. Ein sanftes Vibrieren breitet sich auf dem Boot aus, bringt Rehling und Sitze zum Beben. Beinah unmerklich wird es stärker – bis das Ausflugsschiff mit einem Ruck von seinem Steg nahe der Jannowitzbrücke ablegt.

Während die Fahrgäste noch um die bestmögliche und bequemste Sitzhaltung auf ihren Kunststoffsitzen bemüht sind, ihre Fotoapparate zücken und Stadtpläne verstauen, tuckert das Boot gemächlich Richtung Osten, Spree aufwärts. Schon nach wenigen Augenblicken lässt es die ersten Brücken hinter sich.

Rund 50 Brücken unterquert die strahlend weiße MS Pankow auf ihrer dreistündigen Rundfahrt durch die Hauptstadt. Die „Brückenfahrt“ ist die mit Abstand beliebteste Tour im Angebot der „Stern und Kreisschifffahrt“, Berlins ältester Reederei. Dabei durchkreuzt das Schiff auf Landwehrkanal und Spree sieben Stadtbezirke.

Am vorderen Ende der Pankow greift ein hagerer Typ mit Schnauzer zum Mikrophon. Er wird die Fahrt moderieren – mit seinem typisch schnoddrigen Berliner Charme. Seine Haut ist sonnengegerbt – von den unzähligen Stunden, die er während der Sommermonate erzählend an Deck der Ausflugsschiffe verbracht hat. Freundschaftlich winkt er dem Kapitän eines entgegenkommenden Schiffes. Schnell wird knapper Gruß über das Wasser hinweg ausgetauscht.

Die „Stern und Kreis“-Flotte zählt fast 40 Schiffe. Damit ist die Reederei zweifelsohne die größte der Hauptstadtregion – doch bei Weitem nicht die einzige. Allein dem Reederverband Berlin sind über 30 Schifffahrtsunternehmen mit mehr als 70 Fahrgastschiffen und einem Platzangebot für ca. 9.500 Personen angeschlossen. Die meisten der Reedereien bieten die überaus populären Stadtkernfahrten an. Einige haben sich jedoch auf mehrstündige Ausflugsfahrten auf Berlin und Brandenburgs Seenlandschaft spezialisiert.

Vielleicht 80 Fahrgäste tummeln sich auf der MS Pankow. Als sich das Boot langsam aber stetig der Oberbaumbrücke nähert, zieht es auch den Letzten von ihnen nach oben auf der Sonnendeck, um das 360°-Panorama über die Stadt zu genießen. Hastig werden Fotos geschossen. Klick. Klick. Klick. Klick. Besonders schön sind Schnappschüsse mit dem Fernsehturm im Hintergrund.

Die Oberbaumbrücke mit ihren zwei Türmen und ihren roten Klinkersteinen ist wohl die eindrucksvollste Brücke der Tour. Sie verbindet die Stadtteile Friedrichshain und Kreuzberg und stand einst direkt an der Grenze zwischen Ost- und West-Berlin. Zur Zeit der Mauer waren Ausflugsfahrten auf diesem Teil der Spree daher undenkbar.

Wenige Meter hinter der Oberbaumbrücke steuert das Schiff schließlich auf den Landwehrkanal und muss dort die erste von drei Schleusen auf seiner Rundfahrt passieren.

Der Kanal führt durch Kreuzberg, Neukölln, Tiergarten und Charlottenburg. Im 19. Jahrhundert wurde er als Entlastungskanal für die Spree gebaut. Heute dient er ausschließlich der Ausflugsschifffahrt.

Die Fahrgäste lassen ihre Blicke über die Ufer beidseits des Landwehrkanals schweifen. Es ist idyllisch ruhig. Kein Großstadtlärm. Nur das Rauschen der Blätter und das Plätschern des Wassers. Es ist so ruhig, dass man gar die Vögel zwitschern hört. Viele Berliner zieht es deshalb an den Kanal. Es sind vor allem junge Leute, die ihre Beine in des grüne Wasser recken. Sie meditieren oder musizieren. Sie lesen oder diskutieren. Manch einer haut gerade die Würstchen auf den Grill, während Pärchen engumschlungen auf ihren Picknick-Decken dösen. Viele winken dem vorbeiziehenden Schiff freudig – was durch mindestens ebenso euphorische Armbewegungen der Fahrgäste an Bord der Pankow quittiert wird. Freche Halbstarke begrüßen das Boot auf eine andere Art: Sie spucken von den Brücken.

Die Ufer des Landwehrkanals sind von unzähligen Grünflächen, Parks und Spielplätzen gesäumt. Allgemein sei Berlin eine außergewöhnlich grüne Stadt, sagt der Guide. Pro Kilometer gibt es in der Hauptstadt 80 Bäume.

Vor allem das herrliche Spätsommerwetter hat die Menschen ans Wasser gelockt. Die Sonne scheint unerbittlich auf das Oberdeck der Pankow. Wohl dem, der Hut oder Mütze eingepackt hat.

Der Tour-Guide versorgt seine Fahrgäste unablässig mit Wissenswerten rund um Berlin und seine Wasserstraßen. Wie oft hat er die Rundfahrt wohl schon moderiert? Man spürt die Routine – ohne jedoch den Eindruck zu haben, Aufzeichnungen vom Band zu hören. Ohne Pause prasseln Informationen auf die Gäste ein.

Nur ab und an wird die Flut durchbrochen – von Warnungen, wie „Einfach mal kurz nach vorne schauen!“. Viele der Brücken sind extrem niedrig. Wer das Hinweisschild am Treppenaufgang zuvor mit einem amüsierten Schmunzeln zur Kenntnis genommen hatte, wird rasch eines Besseren belehrt. Teils trennen nur wenige Zentimeter Kopf und Strahlkonstruktion. Stehen verboten. Dennoch ist die Versuchung groß. Und so strecken viele Passagiere der Pankow zaghaft ihre Hände aus, um die Brücken zu berühren.

Das Berlin mehr Brücken besitzt als Venedig, dürfte mittlerweile hinreichend bekannt sein. Etwa 1.500 sind es. Das wird in Deutschland nur von der Hafenstadt Hamburg übertroffen. Die älteste der Brücke der Hauptstadt ist die Jungfernbrücke in Mitte. Sie wurde bereits 1701 errichtet. Teil der Brückenfahrt ist sie jedoch nicht.

Dafür sieht man zahlreiche bunt verzierte Brücken. Kaum ein Steg in Kreuzberg auf dem kein Graffiti prangt. Es ist das junge, unglamouröse, alternative Berlin, das sich hier den Fahrgästen präsentiert. Touristen erschließt sich dieser Teil der Stadt nur selten. Aber auch so mancher alteingesessener Berliner entdeckt auf der Brückenfahrt seine Heimat von einer anderen Seite. Deshalb ist die Brückenfahrt wohl nicht nur bei Urlaubern, sondern auch den Hauptstädtern selbst beliebt.

Nicht immer ganz ernst, oft mit einem Augenzwickern gibt der Stern und Kreis-Guide Einblick in die Berliner Lebensart. Neben Museen und multi-kulti Wochenmärkten wird da auch schon mal auf die Dixi-Klos am Ufer oder den geliebten Eisbär Knut hingewiesen, der immer noch tiefgekühlt auf seine letzte Ruhe warte.

Während der dreistündigen Rundfahrt legt die MS Pankow rund 24 Kilometer zurück. Da kann (ehe-)mann schon mal ein kleines Nickerchen halten. Immerhin bestaunt (ehe-)frau die Umgebung mit großen Augen. Auch für das leibliche Wohl ist auf der Fahrt gesorgt. Mitarbeiterinnen der Reederei schlängeln sich durch die Sitzreihen auf dem Sonnendeck und bieten Snacks und Getränke an. Es gibt Kleinigkeiten: eine Bockwurst mit Senf, ein Kaffee oder ein Eis.

Für die gastronomische Betreuung auf ihren Schiffen hat die Stern und Kreisschifffahrt gar ein eigenes Tochterunternehmen gegründet. Viele der Berliner Reedereien tuen es ihr gleich. Je nach Art der Boots-Tour werden ganze Menüs angeboten. Auf Charter- oder Sonderfahrten sind Buffets keine Seltenheit.

Am Bug der Pankow genießt eine Gruppe amerikanischer Touristen das deutsche Bier. Ausgelassen scherzen sie miteinander, während weiter hinten ein junger Mann seinem Freund die deutschen Moderationen übersetzt und auf markante Sehenswürdigkeiten aufmerksam macht. Einen Audio-Guide jedoch scheint keiner der ausländischen Passagiere zu nutzen. Sie begnügen sich allesamt mit der Aussicht auf Berlins Ufer – und den wenigen Informationen, die sie auch ohne Deutschkenntnisse aufschnappen können.

Dabei stehen die kleinen Hörgeräte an Bord der meisten Berliner Ausflugsschiffe zur Verfügung – nicht nur für die „Standard-Sprachen“ Englisch, Französisch und Spanisch. So hält etwa die Reederei Riedel, das zweitgrößte Schifffahrtsunternehmen der Stadt, Audio-Guides für zehn verschiedene Sprachen bereit.

Die Brückenfahrt birgt sowohl für Touristen als auch Berliner so manchen Oho- und Aha-Moment. Wer wusste schon das Berlin einst Mitglied der Hanse war. Hamburg und Bremen? Ja. Aber Berlin? Und plötzlich wird einem klar, woher das Hansaviertel in Mitte seinen Namen hat. Immer wieder zücken die Passagiere der Pankow ihre Kameras, um Impressionen für das Familienalbum einzufangen. Das Technik Museum. Der Tiergarten. Die Siegessäule.

Vieles in und um Berlin lässt sich zu Wasser entdecken. Unzählige Kanäle, Flüsse und Seen durchziehen die Region. Das größte zusammenhängende Netzt von Binnengewässern Europas.

Teils ist der Wasserweg gar eine zeitsparende Alternative zum Stadtverkehr. So gründete die Weisse Flotte 2007 das Potsdamer Wassertaxi. Damit wurde ein Linienverkehr geschaffen, der die beiden Havelufer innerhalb Potsdams verbindet. 13 Stationen steuert die Schiffslinie an. Sie erschließt vor allem den Norden der Stadt, mit seinen zahllosen Schlössern und Parks. Das macht das Wassertaxi sowohl für Potsdamer und Berufspendler als auch Touristen ideal.

Die Brückenfahrt auf der Pankow neigt sich langsam dem Ende entgegen. Mit einer scharfen Kurve verlässt das Schiff den Landwehrkanal und steuert geradewegs auf Berlin-Mitte zu – für Hauptstadt-Besucher womöglich die attraktivste Etappe der Tour. Denn schon nach wenigen Minuten geraten Regierungsviertel und Hauptbahnhof in Sicht. Die Fotoapparate klicken nun mit noch höherer Frequenz. Die Pankow spiegelt sich in den Glasfassaden der Bundestagsgebäude. Hier zeigt sich Berlin von seiner modernsten, großstädtischsten Seite.

Rundfahrten durch das touristische Herz der Stadt werden von jeder Reederei angeboten. Sie dauern nicht länger als eine Stunde und sind deshalb auch bei Kurzentschlossenen beliebt. Anleger sind überall im Innenstadtbereich verteilt. Große Werbebanner der Reeder machen auf sie aufmerksam. Uhren zeigen die nächste Abfahrtszeit an. Während der Sommermonate starten die Touren meist alle halbe Stunde.

Aus dem Stadtbild sind die unzähligen weißen Boote nicht mehr wegzudenken. Zwischen Friedrichstraße und Reichstag staut es sich regelmäßig auf der Spree. All der Verkehr sorgt dafür, dass sich in den Häuserschluchten rund um die Friedrichstraße eine dichte Abgaswolke sammelt. Der durchdringende Geruch von Motoröl und Treibstoff steigt auch den Passagieren der Pankow in die Nase.

Die Berliner Reedereien sind sich ihrer Verantwortung für die Umwelt bewusst. Nicht nur die Flotte der Stern und Kreisschifffahrt unterliegt kontinuierlichen Modernisierungen. Auch andere Reedereien haben bereits Rußpartikelfilter in ihren Schiffen installiert, um den Abgasgrenzwerten gerecht zu werden.

Nach gut drei Stunden endet die Brückenfahrt. Das weiße Schiff legt sachte am Steg nahe der Jannowitzbrücke an. „Es schaukelt aber ganz schön“, murmelt eine Passagierin leise, während sich Frauen und Männer gemächlich Richtung Ausgang schieben. Dort wartet die Crew der MS Pankow. Mit einem Lächeln und einen freundlichen „Bis zum nächsten Mal“ verabschieden sie ihre Fahrgäste.

Nach 180 Minuten zu Wasser, sind die ersten Schritt auf festen Boden reichlich ungewohnt.