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Facettenreiche Geschichte des Panamakanals

Die drei Sportbootfahrer kennen sich aus mit Schleusen. Aber jetzt stockt ihnen doch der Atem. Langsam und mit großer Präzision läuft die CCNI ANAKENA auf sie zu. Der blau-rote Containerriese verlässt den Pazifik und läuft ein in die Miraflores – Locks, der Eingang der Schleuse an der pazifischen Seite des Panama-Kanals. Das Schiff der Compania Chilena de Navegacion Interoceanica kommt aus dem chilenischen Valparaiso. In Guayaquil in Ecuador hat es weitere Fracht aufgenommen und möchte über Kingston nach Antwerpen, Rotterdam und vorbei an der Nordseeinsel Borkum über die  Großschifffahrtsstraße German Bight Western Approach zum Ziel Heimathafen Hamburg. Die Besucher aus Deutschland stehen auf der Aussichtsplattform des Visitors Center der Miraflores-Schleusen, dem perfekten Ort, die großen Schiffe aus nächster Nähe zu beobachten. Und deswegen können sie auch ganz beruhigt sein, als 207 Meter Länge und 29,80 Meter Breite auf sie zufahren. Als der Bug des Schiffes nur noch wenige Meter von der Schleusenmauer entfernt ist, werfen die Decksleute dicke und schwere Stahltrossen von Bord. Panamesische Hafenarbeiter mit blauen und roten Sicherheitshelmen und Rettungswesten nehmen sie an. Die Stahltrossen werden zügig mit sechs auf beiden Seiten der Schleuse wartenden Lokomotiven verbunden. Die 29,80 Meter Breite der CCNI ANAKENA verlangt äußerste Präzision und die volle Konzentration des Kanallotsen auf der Brücke des Containerschiffs und der Treidelloks an der Pier. Denn die Schleuse ist nur 33,50 Meter breit – wenig Spielraum an Steuerbord und Backbord. Die Loks halten haargenau die Spannung der Stahltrosse und ziehen das Schiff exakt auf Kurs in die Schleusenkammer. Sofort schließen sich die tonnenschweren Schleusentore hinter dem Heck des chilenischen Frachters.

 

Aus einem Fenster des hohen weißen Hauses im Kolonialstil zwischen den Schleusenkammern schaut ein braungebranntes Gesicht heraus. Unter dem roten Ziegeldach liegt die Kommandozentrale von Miraflores. Dem Schleusenwärter genügt ein Blick und er sieht, dass alles geklappt hat. Wie fast immer. Und er legt die glänzenden Edelmetallhebel um, die Hebel, die schon vor fast 100 Jahren eingebaut worden sind. Und wie immer geben sie den Weg frei für 200 Millionen Liter Wasser, die in die Schleusenkammer strömen. Langsam hebt sich der Containerfrachter an. Weniger als zehn Minuten wird es dauern, bis die Schleusenkammer gefüllt und die ANAKENA oben ist.

 

Lange und blutige Geschichte

Nach der Fertigstellung 1914 galten der Kanal und seine Schleusen als Wunder der Ingenieurs- und Baukunst. Die größten Schiffe seiner Zeit konnten passieren und an der Technik hat sich bis heute kaum etwas geändert. Aber der Panamakanal blickt auch auf eine lange, spannende, aber auch blutige Geschichte zurück. Mehr als zehn Jahre sind seit dem Abzug der Amerikaner am 31.12.1999 vom Panamakanal vergangen. Der Tag, der eine neue Ära in einem von politischen und militärischen Krisen geplagten Land, einläutete. Die nun erreichte vollkommene Selbstständigkeit ist auf den in den 70er Jahren ausgehandelten Torrijos-Carter-Vertrag zurückzuführen. Dieser bedeutete das Ende der Bevormundung der Panamesen durch die US-Amerikaner an der wichtigsten Wasserstraße der Welt. Die Emanzipation vom Hinterhof US-amerikanischer Interessen war jedoch ein langer und steiniger Weg.

 

Entstanden ist die Idee für den Bau eines künstlichen Kanals quer durch ein zentralamerikanisches Land bereits Jahrhunderte zuvor. Die Verbindung vom Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean sollte den Schiffen Umwege von Zigtausenden Kilometern ersparen. Berühmte Wissenschaftler, Forscher, Architekten und Politiker aus aller Welt, sogar schon Kaiser Karl V., zerbrachen sich über das menschliche Vorhaben, die Natur auszutricksen, den Kopf. Der Bau für die Wasserstraße kam an Orten in Nicaragua und eben Panama in Betracht. Auch dank der Forschungen Alexander von Humboldts entschieden sich die Franzosen Ende des 19. Jahrhunderts für den Bau des Kanals in der mit reich an Gewässern beschenkten Isthmus-Region. 1881 begannen Zehntausende Menschen aus aller Welt mit dem Bau des Mammutprojekts. Der erste Versuch, die Natur durch Menschenhand zu besiegen, scheiterte schon einige Jahre später. 22.000 Arbeiter starben nach dem Ausbruch von Malaria und Gelbfieber in den schmutzigen Arbeitersiedlungen. So sahen sich die Franzosen acht Jahre später gezwungen, den Bau wieder einzustellen. Anfang des 20. Jahrhunderts brachten die US-Amerikaner die Idee für den Weiterbau des Kanals wieder voran. Die Amerikaner sicherten sich die Rechte für den Bau und boten Panama eine einmalige Zahlung von 10 Milliarden Dollar, eine jährliche Zahlung von 250.000 Dollar sowie politische und militärische Hilfe gegenüber dem Nachbarn Kolumbien an. Panama willigte ein und musste fortan die Präsenz amerikanischen Militärs im eigenen Land dulden. In der zweiten Bauphase des Kanals wurde aus alten Fehlern gelernt. Arbeitsbedingungen und Hygienevorrichtungen wurden verbessert, sodass der Kanal tatsächlich wie geplant erbaut werden konnte. Am 15. August 1914 durchquerte der Dampfer ANCON zum ersten Mal die Wasserstraße des Panamakanals.

 

Über Jahrzehnte hinweg behielten die US-Amerikaner die Kontrolle über den Kanal. Inmitten des Landes entstand ein amerikanischer Stützpunkt. Spannungen konnten nur temporär durch lediglich leichte Zugeständnisse an die Panamesen, wie die Erhöhung der jährlichen Zahlungen, ausgeglichen werden. Am 7. Januar 1964 kam es schließlich zur Eskalation, welche als der Flaggenstreit zwischen Panama und den USA oder Märtyrertag in die Geschichtsbücher einging. Mehrere Hundert Studenten hatten in der Kanalzone die panamesische Fahne gehisst, später wurden Autos und Häuser in Brand gesetzt. Nach Schießereien starben 23 Panamesen und vier US-Soldaten. Panama brach die diplomatischen Beziehungen zu den USA ab. Erst Monate später erfolgte eine gemeinsame Erklärung mit dem Inhalt der Versöhnung. Doch die US-Amerikaner schienen fortan zu wissen, dass ihre Herrschaft über den Panamakanal nicht ewig dauern konnte.

 

Schließlich trafen sich 1977 General Torrijo und US-Präsident Carter und vereinbarten den Abzug der Amerikaner bis zum 31.12.1999. Lediglich der seit den 80er Jahren amtierende Militärdiktator Manuel Noriega konnte den Abzug der US-Amerikaner durch seine Grausamkeiten noch verhindern. Nach der noch heute umstrittenen US-Intervention 1989 erfolgte seine Absetzung. Für Panama bedeutete dies das Ende der Militärdiktatur, für die Amerikaner die Beseitigung einer Gefahr für den Panamakanal. Am 31.12.1999 vollzog sich dann tatsächlich der Abzug aller Amerikaner und der Beginn einer neuen Ära. Die Befürchtungen der US-Amerikaner, dass eine panamesische Regierung unfähig sei, über den Panamakanal zu wachen, haben sich seit nunmehr zehn Jahren nicht bestätigt. Nach wie vor überqueren 13.000 Schiffe die Wasserstraße jährlich, an Bord lagern an die 200 Millionen Tonnen Ladung. Um den dichten Verkehr Rechnung zu tragen, haben die Panamesen 2007 gar mit dem Ausbau des Kanals begonnen. Die teuren Passagen und das Entstehen neuer Arbeitsplätze kommen der heimischen Wirtschaft zugute. Panama gehört schon lange zu den reicheren Ländern im armen Zentralamerika. Dass dies auch ohne Schirmherrschaft des großen nördlichen Nachbarn weiterhin so bleibt, haben die letzten zehn Jahre eindrucksvoll bewiesen.

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Das achte Weltwunder

Langsam schwingen die 700 Tonnen schweren Stahltore wieder auf. Der Kanallotse gibt Kommando „Langsam Voraus“. Die CCNI ANAKENA läuft aus der Schleusenkammer aus. 82 Kilometer Fahrt durch tropischen Dschungel und vorbei an hartem Fels liegen vor ihr. Nur etwa zwölf Stunden wird sie jetzt brauchen, bis sie nach Überwindung weiterer Schleusen den Atlantischen Ozean erreicht. Die Besucher schauen dem Schiff nach. Noch über 30 Mal wird sich dieses Schauspiel heute wiederholen. Dabei werden über 500.000 Tonnen Fracht transportiert. Auch in den nächsten Tagen werden wieder viele Besucher aus Deutschland, Argentinien, Japan und Südafrika kommen, viele Fotos schießen und den von vielen als achtes Weltwunder bezeichneten Kanal bestaunen.