Sexparties im prüden Preußen, Betrug in Millionenhöhe, Bauprojekte mit „Schmiermitteln“: Berlin ist die Stadt der Skandale. Regina Stürickow hat für den Band „Skandale in Berlin“, 16 der aufregendsten Geschichten aus Berlin zusammengetragen und erzählt Geschichten, bei denen uns das Lachen im Hals stecken bleibt. „Skandale in Berlin“ erzählt von über 100 Jahren Berliner Geschichte in spannenden Texten und vielen Abbildungen: Eine Geschichte, die sich bis heute fortschreiben lässt.

Hätte er bereits ein facebook-Profil besessen, dann wäre er vielleicht vorsichtiger mit schlüpfrigen Schnappschüssen umgegangen: Es ist ein heißer Julitag im Sommer 1919. Friedrich Ebert, Anfang des selben Jahres zum ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik gewählt, besucht mit seinem Reichswehrminister Noeske ein Kindererholungsheim der Hamburger Produktionsgenossenschaft an der Ostsee.  An diesem 16. Juli entsteht ein Foto, das für Ebert ungeahnte Auswirkungen hat: Denn die beiden lassen sich am Strand in für damaliger Zeit sehr knappen Badehosen ablichten. Die Wahl der Badebekleidung stellte sich dabei nicht nur als modischer, sondern auch als politischer Fauxpas heraus. Die Bevölkerung war es gewohnt, ihre Herrscher auf Militärparaden in festlicher Uniform zu bestaunen. Vollschlanke Männerkörper am Badestrand stellten da doch einen sehr krassen Kontrast dar. Dass der Schnappschuss über den ortsansässigen Fotograf nach Berlin gelangen könnte, darum hatten sich die beiden Spitzenpolitiker ohnehin keine Sorgen gemacht. Wenige Tage später, ausgerechnet am Tag der Vereidigung Eberts taucht das Foto der badenden Sozialdemokraten dann aber in einer Berliner Illustrierten auf. Die Bildunterschrift: „Sie stellten der Welt ihre ganze Mannesschönheit zur Schau und veranlassten in animierter Stimmung die Fixierung der Szene auf photographischer Platte.“ In der prüden Nach-Kaiserzeit ein Skandal. Ebert war bis zum Zeitpunkt der Vereidigung am 21. August 1919 visuell kaum bekannt, hatte er bis dahin doch noch keine Dienstreisen unternommen. Das Bild des halbnackten Politiker in zu weiter Badehose eilte ihm nun voraus.  So schwenkt ein Student beim Vorbeifahren des Reichspräsidenten eine rote Badehose, andernorts hing zur Begrüßung eine Badehose an einem Mast oder ein Exemplar wird Ebert als Geschenk übergeben, stilecht mit schwarz-rot-goldener Schleife.

Berlin, so eindrucksvoll diese Stadt auch ist, steht nicht erst seit dem missglückten Flughafenneubau für politische Possen, Vetternwirtschaft und Mauscheleien. Schlimm, wenn das anders wäre. Denn Berlin hat in seiner langen Geschichte schon so manch eine unterhaltsame Anekdote beheimatet, die diese Stadt nicht minder interessant und sympathisch gemacht hat. So fungierte die bieder klingende Pension Clausewitz am Kurfürstendamm in in den Sechzigerjahren angeblich als Stasi-Puff,  Schlitzohr Klante prellte um 1920 in seinem Wettbüro die Gutgläubigen mit exorbitanten Gewinnversprechen und die Architektin Sigrid Kressmann-Zschach schaffte es, Millionen vom Land für eine Bauruine zu kassieren.

Mit akribischer Recherche und einer ordentlichen Portion Neugier ist Regina Stürickow den Skandalen, die Berlin und oft darüber hinaus erregten, auf den Grund gegangen. Sie skizziert die Gesellschaft der Zeit und zeigt somit dem Leser die Parallelen zur Gegenwart auf. Vieles hat sich seit den ersten Skandalen geändert, so manches ist auch heute noch für einen Skandal zu gebrauchen. Dazu gibt einzigartige Abbildungen von Kunstfälschern, Ehebrechern und vielen anderen Gaunern.

Regina Stürickow: Skandale in Berlin. 16 unglaubliche Geschichten von 1890 bis 1980. Elsengold Verlag, Berlin. 176 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 19,95 Euro. ISBN 9783944594354 

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