Der Raum ist halbdunkel. Kleine bunte Öffnungen an den Seiten scheinen wie Blicke in eine Welt da draußen. In der Mitte des Raumes ragt ein großes kupfernes Sehrohr nach oben. Der Blick in das Periskop gibt den Blick frei auf die große weite Fläche des Meeres über uns. Aus dem Lautsprecher ertönt eine sonore Stimme: „Willkommen. Begleiten Sie Kapitän Nemo auf seiner Tauchfahrt unter das Meer.“   Jules Verne freute sich, sähe er, mit welcher Liebe für das maritime Detail seine Reise 20.000 Meilen unter das Meer umgesetzt wurde. Wir sind in der Schifffahrtsabteilung des Deutschen Technikmuseums in Berlin.  Vor uns liegt eine unvergessliche Begegnung mit dem Element Wasser, seiner Bedeutung für den Menschen, über die Gefahren und Ängste auf See, den Aberglauben, den Einfluss der Seefahrt auf Kultur und Zivilisationsgeschichte, über die Zukunft der Ozeane.

Schon von Weitem ist der viergeschossige Neubau in der Trebbiner Straße in Berlin-Kreuzberg zu erkennen. Eine spitz zulaufende gläserne Front mit dem silberfarbenen Rosinenbomber des Typs C 47 Skytrain schiebt sich wie ein Schiffsbug zum Landwehrkanal in Richtung Potsdamer Platz. Hinter diesen Mauern verbirgt sich auf 6.600 qm  eine der weltweit größten Ausstellungen zur über 10.000-jährigen Geschichte der Schifffahrt: die „Lebenswelt Schiff“.

Auf drei Stockwerken ist in aufregender Abfolge die enge Verknüpfung von Schifffahrts- und Kulturgeschichte, von Mensch und Technik dargestellt. Die Ausstellung gliedert sich in mehrere Bereiche: regionale Binnenschifffahrt und Wassersport im Erdgeschoss, Schiffsmodellbau und Theorie des Schiffs im ersten Obergeschoss sowie die internationale Hochseeschifffahrt und die Navigation im zweiten Obergeschoss.

 

Aktive Mitwirkung für Kinder und Erwachsene04 TechnikmuseumDSC_6908_940k
Anders als wir es aus althergebrachten Museumskonzepten im Sinne von „Berühren verboten“ kennen, geht das Technikmuseum einen ganz anderen, einen radikalen Schritt. Schon im Eingangsbereich wird das deutlich. Hier steht es in großen Buchstaben: „Was kann ich hier machen?“ Und die Antworten fordern zum Machen auf: Entdecken. Schauen. Was machen. Was zusammen machen. Tasten. Hören. Lesen. Besonders anschaulich ist das in der Wassersportabteilung zu beobachten. Im ersten Geschoss, das sich als Galerie über Teile des Erdgeschosses erhebt, gibt es in einem sogenannten hands-on Bereich die Möglichkeit, selbst Segel zu hissen und verschiedene Knotentypen auszuprobieren. Drei Jollen sind als originalgroße Modelle aufgebaut. Mädchen, Jungen, Mütter und Väter spielen darauf und üben, wo Schoten und Fallen hingehören und welchen guten Sinn Seemannsknoten haben.  Und sie haben viel Spaß dabei.

Wassersport zwischen Havel und Spree und Binnenschifffahrt

Die ersten Boote, mit denen Wassersport betrieben wurde, waren nicht als Sportboote konstruiert. Die frühen Wassersportler fuhren auf ausgedienten Fischerbooten um die Wette. Erst nach und nach wurden nach englischem Vorbild spezielle Sportboote gebaut. Der erste Segelverein an Havel und Spree wurde 1835 gegründet. 100 wohlhabende Männer wurden Mitglieder. 1876 folgte die Gründung des ersten Rudervereins. Auch hier waren die Mitglieder vor allem Söhne reicher Industrieller und Offiziere. Um die Jahrhundertwende war das Interesse am Wassersport so gewachsen, dass auch Arbeiter ihre eigenen Wassersportvereine gründeten. Der Friedrichshagener Damen Ruder Club in Köpenick war 1901 der erste Frauenruderclub Deutschlands.

Die beiden zentralen Ausstellungsstücke der Binnenschifffahrt sind zwei Originalschiffe: der märkische Schlepper KURT HEINZ von 1901 (man darf natürlich an Bord gehen) und der in Spandau gefundene Kaffenkahn von 1840. Besonders eindrucksvoll ist die Präsentation des 33 Meter langen, zum Ziegeltransport von Brandenburg nach Berlin genutzten Kahns, dessen Rumpf in einer ca. 1,5 Meter tiefen Grube steht und dessen Mast und Segel durch Deckenöffnungen der anderen Stockwerke über 20 Meter hoch ragen.

Schiffsmodellbau

05 TechnikmuseumDSCN7345_940Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Vielfalt im Schiffsmodellbau, der sich seit über 6.000 Jahren unterschiedlichster Materialien wie Holz, Blech, Silber, Gold, Bernstein, Papier und Glas bedient. In diesem Modul werden die vielfältigsten Verwendungszwecke von Schiffsmodellen ebenso vorgestellt wie die zahlreichen Arten: Standmodelle, Fahrmodelle, Halbmodelle oder Konstruktionsmodelle. Eine Besonderheit stellt die Sammlung von Knochenschiffsmodellen dar, die in der napoleonischen Zeit von Kriegsgefangenen hergestellt worden sind. Über 50 Modelle verdeutlichen Anfänge und Gegenwart der Schifffahrtsgeschichte – vom Fellboot aus der Steinzeit bis zum Flugzeugträger der heutigen Zeit. Um einen Größenvergleich zu ermöglichen, sind alle Modelle im selben Maßstab (1:50) gebaut, wobei das kleinste Schiff weniger als 10 cm und das größte fast 7 Meter misst.

Hochseeschifffahrt und brandenburgischer Sklavenhandel

Weitere Themeneinheiten behandeln die Entdeckungsreisen um 1500, der Untergang der chinesischen Dschunke TEK SING, den Walfang und die deutsche Schifffahrtsgeschichte – von den Anfängen der brandenburgischen Marine über die preußische bis hin zur wilhelminischen Schifffahrt. Als davon abgehendes Vertiefungsthema zeigt eine Inszenierung den unmenschlichen brandenburgischen Sklavenhandel.

Mehr als ein Museum

Das Deutsche Technik Museum in Berlin ist mehr als „nur“ ein Museum. Den Gestaltern ist es gelungen, einen Ort zu schaffen, in dem mit Medien wie Film und Software, Architektur, Licht und Grafik ein außergewöhnlicher maritimer Erlebnisraum gestaltet wurde. Der Besuch aller drei Stockwerke ist so abwechslungsreich, dass es für Jungen und Mädchen, für Kinder und Jugendliche, für Mütter und Väter viel zu sehen gibt.

Und für alte Seebären sowieso.